Verantwortung für Zukunft, Freiheit und Frieden

 Gedenken unter Corona-Bedingungen – eine Herausforderung in mehr als einer Hinsicht. Das Bündnis »Einbeck ist bunt« hatte am gestrigen 8. Mai zur Mahnwache auf dem Marktplatz eingeladen mit der Botschaft »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.« Begleitet wurde dies von der Gestaltung von »Friedenssteinen« und einer Kranzniederlegung.

Der Marktplatz war gut gefüllt, erlaubt waren bis zu 80 Teilnehmer, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot rund um diese und weitere Kundgebungen. Unter anderem waren Polizeipräsident Uwe Lührig und der neue PI-Chef Michael Weiner anwesend.

Der 8. Mai 1945 sei der Tag der Befreiung vom Hitler-Faschismus und des Wiederbeginns der Demokratie in Deutschland gewesen, erinnerte Peter Zarske von »Einbeck ist bunt«. In seiner vielbeachteten Ansprache vom 8. Mai 1985 sagte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Vergangenheit lasse sich nicht bewältigen, aber man dürfe die Augen nicht vor ihr verschließen, sonst werde man blind für die Gegenwart. Diese Aussage sei aktuell. »Uns mahnen 80 Millionen Tote: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, dafür stehen wir ein.«

Es sei wertvoll, frei und in Frieden leben zu können, betonte Pastorin Annegret Kröger. Gemeinsam mit Stefanie Deichmann verlas sie die zehn Thesen des Kirchenkreistags gegen Faschismus, die seit 2017 nichts von ihrer Aktualität verloren hätten.

Einbecks Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek blickte auf die Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 und auf die Weizsäcker-Rede. Mit seiner Deutung habe er die Lesart des Tages fundamental gewandelt: Er habe nicht von der Befreiung von Verantwortung gesprochen. Präzise habe er Unvorstellbares vorstellbar gemacht. Das habe sie, so die Bürgermeisterin, beeindruckt, und sie habe die Rede damals zum Nachlesen angefordert. Von Weizsäcker nannte den Völkermord beispiellos, und er habe auch wenig beachtete Opfergruppen in den Fokus gerückt. Die Jüngeren würden keine Verantwortung dafür tragen, aber sie seien verantwortlich für das, was daraus werde, so sein Fazit. An die Jungen gehe deshalb die Bitte, sich nicht von Feindschaft und Hass treiben zu lassen. »Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander«, forderte sie. Man müsse aufrütteln, gerade dann, wenn Kräfte erstarken würden, die aus der Geschichte nichts gelernt hätten. Immer wieder sei es wichtig, Zeichen zu setzen. In Einbeck, betonte sie, gebe es kein Klima von Hass, Gewalt und Ausgrenzung. Hier setze man sich füreinander ein in einer Kultur des menschlichen Miteinanders. Die Solidarität in der Corona-Krise zeige das einmal mehr. Die Erinnerung mahne, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen, für Freiheit, eine starke Demokratie und eine friedliche Welt. Das sei für sie, so Dr. Michalek, die Botschaft des 8. Mai 2020.

In Respekt und Demut schaue sie auf den 8. Mai 1945, sagte Agnieszka Zimowska vom DGB-Kreisverband Göttingen. Inzwischen lebe schon die dritte Generation in Europa ohne Krieg. Unter anderem hätten sich die Gewerkschafter und Kommunisten, die in den Konzentrationslagern überlebten, für eine offene, demokratische Gesellschaft eingesetzt und daran mitgebaut. Ihnen danke man ebenso wie den Alliierten, die den Aufbau begleiteten. Man müsse das Vermächtnis der Überlebenden bewahren. Der 8. Mai, forderte sie, müsse ein Feiertag in der Gesellschaft sein – nicht nur, um in die Vergangenheit zu gehen. »Wir sind Antifaschisten«, hob sie hervor, und das gelte für alle, die sich gegen die Feinde von Demokratie und Freiheit stellten. Die freie Gesellschaft sei derzeit sehr herausgefordert – jeden Tag müsse man wachsam sein.

Der Zweite Weltkrieg kostete Millionen Menschen das Leben, und gerade auch dem Rassenwahn der Nazis seien Millionen zum Opfer gefallen, schaute der SPD-Vorsitzende Marcus Seidel zurück. Des Mordens und Tötens gedenke man an diesem Tag. Wie der Kniefall Willy Brandts habe die Weizsäcker-Rede das Denken verändert als Bekenntnis zu einer anderen Erinnerungskultur. Wenn aktuell Alexander Gauland einen neuen Höhepunkt seiner Geschichtsvergessenheit offenbare, zeige das, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema weitergehen müsse. 75 Jahre Frieden seien nicht selbstverständlich, dessen Wahrung sei eine wichtige Aufgabe, die aktiven Einsatz verlange. Dazu gehöre auch der Kampf gegen Rassismus. Das Datum sei kein Tag für Revanchisten, sondern Anlass zum Dank für die Befreiung und an die Befreier und an die, die Widerstand geleistet hätten.

Trotz der schwierigen Voraussetzungen habe Einbeck Gesicht gezeigt, so die Bilanz von Mit-Organisator Achim Wenzig von »Einbeck ist bunt«. Er schäme sich allerdings, dass die Veranstaltung der Rechten an so einem Tag genehmigt wurde und stadtbekannte Nazis ihren »Dreck direkt neben uns ins Mikrofon brüllen« dürften. Er hätte erwartet, dass das mit alle Mitteln verhindern würde. Seiner Meinung nach habe man es nicht wirklich versucht, sondern Geschichtsleugnern eine Bühne geboten. Man hätte ihnen auch einen Ort zuweisen können, an dem sie niemand höre und sehe. Der Ideologie, die versuche, sich einen Platz in der Gesellschaft zu erobern, dürfe man nie wieder Raum geben. Die Erinnerung daran müsse man am Leben erhalten und sich dabei gegen alte und neue Nazis stellen.

Die beiden Männer, die Einbeck am 8. und 9. April 1945 vor dem Bombardement retteten, Heinrich Keim und Werner Lüttge, sollte man nicht vergessen, stellte die Einbeckerin Erika Rau fest. Leider nicht schon zum 70. Jahrestag habe man Heinrich Keim einen Weg gewidmet.
Auf dem Hallenplan war nahezu zeitgleich die Partei »Die Rechte« aufgezogen. Nicht einmal zehn Teilnehmer hielten auf ihre Weise und in ihrer Interpretation ein Gedenken zum 8. Mai 1945 ab.

Eine weitere Veranstaltung mit knapp 40 Teilnehmern von Antifa, Seebrücke und Oate auf dem Marktplatz wurde von der Polizei mit dem wiederholten Hinweis, der Marktplatz als angemeldeter Versammlungsort werde blockiert, an die Geiststraße verwiesen.

Zuvor hatte die Seebrücke in einer Mahnwache an der Marktkirche auf die Verfolgung und Bedrohung durch Nazis in Einbeck hingewiesen: Die Gewaltspirale habe eine immense Drehung nach oben genommen. Man müsse gegen die vorgehen, die ihre Tyrannei über die Stadt ausdehnen würden und von denen man täglich Bedrohungen und Beleidigungen erlebe.