1.100 zeigen »klare Kante« für eine weltoffene Stadt

(Artikel em) Mit Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek, Vertretern der Parteien und den Landtagsabgeordneten an der Spitze startete der »Einbeck ist bunt«- Demonstrationszug am Ostertor beziehungsweise in der Ball-Ricco-Straße.

Einbeck ist eine weltoffene, tolerante und demokratische Stadt: Das haben rund 1.100 Teilnehmer der Demonstration bewiesen, zu der »Einbeck ist bunt« am Sonnabendnachmittag aufgerufen hatte. Die Organisatoren waren ebenso wie die Teilnehmer beeindruckt von der großen Zahl ganz unterschiedlicher Bürger, die dem Aufruf gefolgt waren, sich gegen Rechtsextremismus und Hass zu positio­nie­ren; rund 100 Teilnehmer ordnete die Polizei der »linken Szene« zu. Mit 28 Betei­ligten, so die offiziell von der Polizei genannte Zahl, war der nahezu zeitgleiche sogenannte Spaziergang der »Kameradschaft Einbeck« von über­sicht­licher Größe.

Einbecks Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek sagte vor dem Start der Demonstration, man wolle ein deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus und Hass setzen, was beides in Einbeck mittlerweile unverhohlen zutage trete. Es sei ein bitterer Irrtum gewesen zu denken, die Zeit rechter Kundgebungen sei vorbei. Sie sei froh und dankbar, so Dr. Michalek, dass so viele Menschen dem Aufruf von »Einbeck ist bunt« gefolgt seien, der von einer breiten Basis getragen werde.

Nur noch wenige Bürger hätten die Zeit des Nationalsozialismus selbst erlebt, das Lebensgefühl und die Grundstimmung, Hetzreden und Gewalt, die von SA und Gestapo sowie Mitläufern ausging. Minderheiten wurden ausgegrenzt und menschenunwürdig behandelt. Wozu Gleichgültigkeit gegenüber offensichtlichem Unrecht, gepaart mit Angst, geführt habe, das würden die Geschichtsbücher lehren: Weltkrieg, Millionen Tote, Holocaust. Vertreibung, Entrechtung und Völkermord seien nicht von der Erde verschwunden, und in Deutschland und auch in Einbeck würden wieder Kräfte stärker, die aus der Geschichte nichts gelernt hätten und nichts lernen wollten, die wieder auf die Straßen gingen mit Hetzparolen, Ausgrenzung und Gewalt.
»Nichts ausblenden, auf keinem Auge blind sein«

Deshalb wolle man zeigen, dass es in Einbeck kein Klima von Hass, Gewalt oder Ausgrenzung gebe. »Hass ist zivilisatorisch ein Rückschritt. Hass ist die destruktivste Kraft der Menschheit«, so die Bürgermeisterin. Gleichermaßen sei auch Gewalt eine Gefahr für die Demokratie, egal, aus welcher Ecke. In einem Rechtsstaat gebe es keinen Raum für Gewalt. Nichts ausblenden, auf keinem Auge blind sein: Gewalt in Worten und Taten dürfe niemals hingenommen werden.

Man wolle aber auch deutlich machen, wofür man stehe: »Einbeck ist eine Stadt, in der mehr als 30.000 Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft und Tradition in einer Gemeinschaft und in gegenseitigem Respekt in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammenleben.« Man bekenne sich zu Werten wie Verständnis, Toleranz und Offenheit, verurteile Extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diffamierung und Gewalt jeder Art. »Wir lassen es nicht zu, dass Menschen aus unserer Gemeinschaft aufgrund ethnischer Herkunft, religiösem Bekenntnis oder politischer Überzeugung ausgegrenzt oder diffamiert werden«, betonte sie. »Rechtsextremes Gedankengut ist für uns unter keinerlei Umständen akzeptabel.«

Mit der Kundgebung zeige man, dass Einbeck nicht die Stadt der Rechten sei und dass nicht ihre Regeln gelten würden. »Es ist unsere Stadt, in der die freiheitlich-demokratische Grundordnung gilt. Wir sagen deutlich: Einbeck ist weltoffen und tolerant.« Man setze Zeichen dafür, kreativ und friedlich. Sie wünsche sich eine Stadt, in der sich die Menschen füreinander einsetzten, den Nächsten im Blick behielten, solidarisch miteinander umgingen und in der eine Kultur des menschlichen Miteinanders gepflegt werde, denn nicht Fäuste und Ellenbogen seien die wichtigsten Körperteile, sondern Herz und Verstand – das wolle man deutlich zum Ausdruck bringen.

Zusammen mit Vertretern von Parteien und Landtagsabgeordneten führte die Bürgermeisterin den langen Demonstrationszug durch die Stadt an, in den sich unterwegs immer mehr Teilnehmer einreihten.

Wenzig: »Wir dürfen sie nicht machen lassen«

Bei der Abschlusskundgebung am Möncheplatz sprach »Einbeck ist bunt«-Mitglied und Gewerkschafter Achim Wenzig: Die Rechten nutzten eine Rhetorik, die man aus dem Dritten Reich kenne, fabulierten von einem »braunen« Einbeck. »Einbeck ist bunt«, hielt er unter kräftigem Beifall dagegen. Vielen seien die Probleme erst nach der Maikundgebung bewusst geworden. »Das wussten wir nicht«, auch dieser Satz sei aus der Geschichte bekannt. »Wir dürfen sie nicht machen lassen.« Deshalb sei es umso wichtiger, dass man »klare Kante« gegen Rechts und Rassismus zeige. Dabei seien das keine Dumme-Jungen-Streiche: Im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke seien Todeslisten aufgetaucht – mit ganz »normalen« Menschen. So weit sei man schon, und so habe es 1933 angefangen.

»Steht auf, lasst euch nicht einschüchtern«

»Wir haben in diesem Land ein Problem mit Rechten« – in Einbeck mit dieser »unsäglichen Kameradschaft«. Da sei nichts schönzureden. Es sei schlimm, und es gehe von allein nicht vorbei. Wer sich gegen Nazis und Rassisten stelle, sei nicht automatisch links oder ein Gutmensch, sondern völlig normal. »Wir sind Menschen mit einer Meinung. Steht auf, zeigt Gesicht, lasst euch nicht einschüchtern«, forderte er. Dem Nazi-Motto gebe man widerwillig Recht: Einbeck müsse sauber bleiben, aber der einzige Dreck, der hier störe, das seien die Nazis. Deren Ideologie sollte man gemeinsam in den Mülleimer der Geschichte fegen und zeigen, dass Einbeck offen, tolerant und lebenswert sei. Einen – gewollten – Kontakt hatten die beiden Demonstrationszüge am Tiedexer Tor.

1.100 zeigen »klare Kante« für eine weltoffene Stadt

Während die rund 1.100 »bunten« Teilnehmer dicht an dicht auf dem Bäckerwall und dem Spielplatz standen, kam die spazierende »Kameradschaft« unter Polizeischutz aus dem Langen Wall. Wortbeiträge wurden von einem gellenden Pfeifkonzert, »Nazis raus«- und anderen Rufen übertönt. Auch auf dem Marktplatz wurde die Ansprache gestört: »Haut ab!« Um eine Sitzblockade in der Rabbethgestraße wurde der rechte Aufzug von der Polizei herumgeleitet.

Nach Angaben der Polizei sind beide Kundgebungen ohne Zwischenfälle verlaufen. Das Einschreiten beschränkte sich auf Absperrmaßnahmen entlang der Aufzugsstrecken. Bereits im Lauf des Vormittags war die Innenstadt weiträumig abgesperrt worden. Cafés hatten ihre Außengastronomie verkleinert, Geschäfte früher geschlossen, der Wochenmarkt war verlegt worden. Aufgabe der Polizei war es, einen störungsfreien Verlauf beider Veranstaltungen zu gewährleisten. Aufgrund der Weitläufigkeit der Demonstrationsstrecken waren mehrere Hundertschaften im Einsatz. Gesamteinsatzleiter Niklas Fuchs von der Polizeiinspektion Northeim zeigte sich zufrieden: »Unser taktisches Konzept ist aufgegangen. Beide Veranstaltungen sind friedlich verlaufen. Es wurde niemand verletzt, und wir mussten keine Ermittlungsverfahren einleiten«, so der Polizeioberrat in seinem Fazit.